Das Jahr 2020 gibt Anlass zu einer ganz besonderen Spurensuche im Haus des Reichs:
Vor 75 Jahren wurde es Hauptquartier der amerikanischen Militärregierung. Bremen mit Bremerhaven war ab Mai 1945 zum Versorgungshafen der US-Armee für die Truppen in Berlin und in Süddeutschland geworden. Die bremischen Häfen waren Drehscheibe für Nachschub und Truppentransporte.
Der im Krieg weitgehend unzerstört gebliebene Verwaltungsbau bot beste Voraussetzungen für ein Hauptquartier. Bis zum April 1945 hatte das Haus als Sitz des Gauleiters, der Kriegsmarinezentrale und anderer militärischer Einheiten gedient. Deshalb waren die Büroräume bei Kriegsende noch gut ausgestattet. Es gab Telefone und sogar Telegrafenstationen.
Einige Relikte aus dieser Zeit sind in der Fotoreihe zum ersten Mal zu sehen. Sie wären in einer normalen Hausführung nur schwer zu erkunden. Die meisten befinden sich an schwer zugänglichen Orten, sind sehr klein oder sehr empfindlich. Ergänzt werden die Funde durch Fotos und Archivalien aus dem Bremer Staatsarchiv, dem Focke-Museum und dem Filmarchiv im Zentrum für Medien.
Am 26. April 1945 wurde Bremen von englischen und amerikanischen Truppen eingenommen. Zuerst bezogen das Hafenkommando (BPC - Bremen Port Command), die Navy und andere US-Organisationen das Haus des Reichs. Die amerikanische Militärregierung (OMG - Office of Military Government) nahm ihren Sitz im Haus Contrescarpe 22/23.
Das Hafenkommando stand mit 13.000 Mann unter der Leitung von Generalmajor Harry B. Vaughan. Es begann sofort, die zerstörten und verminten Hafenanlagen sowie Schienen und Straßen wiederherzustellen und Transportwege für die Versorgung zu schaffen. In kürzester Zeit wurden Behelfsbrücken errichtet, Wracks gehoben, Minen gesprengt und Wasserwege freigelegt. Am 22. Juni 1945 konnte das erste Schiff in Bremerhaven anlegen. Der Bremer Überseehafen wurde am 6. September 1945 freigegeben.
Die Aufgabe war gewaltig. Es fehlte an allem: Wasser, Nahrung, medizinische Versorgung, Hygiene und Unterkunft. Groß war die Sorge vor einem Ausbruch von Typhus und anderen Krankheiten. Gleichzeitig mussten Sicherheit, Recht und Ordnung wiederhergestellt werden. Die Ermittlung und Kontrolle von Nationalsozialisten war eine wichtige Voraussetzung dafür. Eine funktionierende regionale Verwaltungsstruktur wurde aufgebaut.
Außerdem mussten zahlreiche befreite Kriegs- und Lagergefangene, Zwangsarbeiter und nichtdeutschen Flüchtlinge (Displaced Persons) untergebracht und versorgt werden. Allein für das zweite Quartal 1945 vermerkt der Tätigkeitsbericht der Militärregierung die Ankunft von 2.500 Displaced Persons in nur 24 Stunden und über 18.000 in nur wenigen Wochen. Für sie gab es im Haus des Reichs mehrere Anlaufstellen, zum Beispiel die Flüchtlingsorganisation UNRRA der Vereinten Nationen und ein Auswanderungsbüro.
Nachdem diese Aufgaben erfüllt waren, siedelte im Juni 1946 die Militärregierung, das OMG Bremen, von der Contrescarpe in das Haus des Reichs über. Ab dem Sommer 1947 bezog auch die bremische Finanzverwaltung nach und nach wieder Räume. Als am 20. September 1949 die Bundesrepublik gegründet wurde, war die Tätigkeit der Militärregierung beendet. Die verbliebenen Aufgaben übernahm für kurze Zeit Landeskommissar Admiral Charles R. Jeffs als höchster Vertreter der USA im Land Bremen. Ab Juni 1952 ging diese Rolle an das Amerikanische Generalkonsulat über. Mit der Übersiedlung des Konsulats 1953 in seinen Neubau am heutigen Präsident-Kennedy-Platz ging die Zeit der Amerikaner im Haus des Reichs zu Ende.
Auf einer Kellertür aus Metall sind zahlreiche englische Graffiti zu sehen. Noch sind nicht alle freigelegt und entziffert. Viele Menschen haben hier Namen, Herkunft und auch ein paar Sprüche hinterlassen. Einige wurden in das Metall eingeritzt. Die meisten sind mit Bleistift darauf geschrieben.
Berühren darf man sie nicht, sonst werden sie verwischt. Zum Glück ist diese Tür seitdem nicht geputzt worden. Sonst wäre heute nichts mehr zu sehen.
Die Enkel von John Besenhofer, Henry Popko, Joe Belica und Ralph Hedström wären sicher erstaunt, zu hören, dass sich in einem vergessenen Bremer Keller Graffiti ihrer Großväter erhalten haben.
In diesem Bereich im Untergeschoss befand sich bis zum Jahr 1931 der Tresor einer Bank. Danach nutzte ihn die Finanzverwaltung. 1940 wurde der Bereich zum Luftschutzraum umgebaut und erhielt eine luftdichte Zwischentür aus Metall.
Im Vorraum des Tresors gab es zwei abschließbare Zellen, von denen heute nur noch ein paar Spuren zu sehen sind. Es gibt noch zwei weitere enge Gitterkabinen im Tresorraum. Es wird vermutet, dass sich an dieser Stelle ab Mai 1945 eine Wartezelle für Gefangene befunden hat. Zeitzeug*innen haben davon berichtet. Demzufolge wurden die Häftlinge bei ihrer Ankunft im Hauptquartier zuerst zum Warten hinunter in die Zelle geführt und dann erst nach oben zum Verhör gebracht.
Über eine Treppe konnte man damals noch nach oben zum Haupteingang gelangen. Heute führt diese Treppe ins Nichts: Sie ist oben zugemauert.
Unter der Haupttreppe befindet sich in einem Zwischengeschoss eine kleine Damentoilette. Mehrere Zeitzeuginnen haben sich erinnert, dass sie den People of Color unter den amerikanischen Armeeangehörigen zugewiesen war. Der Raum ist eng, abgelegen und hat nur zwei Kabinen.
Das Messer aus dem Essbesteck der US-Army mit der Aufschrift
L. F. & C. 1944 wird heute in der Finanzverwaltung als Brieföffner genutzt.
Zusammen mit Löffel und Gabel wurde es bei Ausschachtungsarbeiten im Kellergeschoss gefunden.
Die Offiziere des militärischen Flugsicherheitsdienstes Army Airways Communications Service (AACS) stellen ihr Projekt auf dem Dachgarten vor.
Sie entwickelten ein Flugsicherheitssystem für den gesamten europäischen Luftraum.
Die Pläne zeigen, in welchen Räumen die verschiedenen Einheiten und Organisationen untergebracht waren. Die Einträge selbst haben kein Datum. Die Grundrisse sind Kopien. Sie wurden von der deutschen Hausverwaltung hergestellt und genutzt.
Im Jahr 1944 sind sie zuletzt auf den neuesten Stand gebracht worden. Vermutlich stammen die Einträge aus den Jahren 1946/1947. Die Pläne wurden in den Unterlagen zur Rückgabe des Gebäudes an die Finanzverwaltung aus dem Jahr 1954 gefunden.